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Jonas‘ Erben gefunden! Auszeichnungen im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Philosophischer Essay“

Die Suche (vgl. Jonas‘ Erben gesucht) nach Schülerinnen und Schülern, die die philosophische Tradition, die am HUMA eng mit dem Leben und Werk des Ehrenbürgers Hans Jonas verbunden ist, weiterführen, war von Erfolg gekrönt! Die Einladung zum Bundes- und Landeswettbewerb Philosophischer Essay 2018 wurde vorallem von Schülern der Einführungsphase angenommen und dies erfreulicher Weise sehr erfolgreich: Mit Theresa Freund, Jonas Langen und Joscha Pütz wurden gleich drei HUMAnisten für ihre Essays auf Grund „überdurchschnittlicher Leistungen“ ausgezeichnet – Herzlichen Glückwunsch! Die entsprechende Urkunde ziert eine Radierung, auf der Kant im Profil zu sehen ist, mit dem Wahlspruch der Aufklärung Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Dies ist aus Sicht des HUMA eine sehr passende Wahl, begleiten Kant und Jonas uns doch als Väter des humanistischen Selbstverständnisses der Schule mit ihren Portraits an der Aulawand durch den Schulalltag. Theresa, Jonas und Joscha haben mit ihren Essays ihren Mut und autonome Kritikfähigkeit bewiesen – ich bin mir sicher, dass Kant und Jonas das sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, was einen philosophischen Essay überhaupt ausmacht, kann direkt weiterlesen: der Essay von Jonas Langen zur Frage „Führt Wissen zu Macht?“ ist unten einsehbar, der Essay von Joscha Pütz steht hier zum download bereit.                                     Marc Breuer

 

 

 

Thema beim 20. Bundes- und Landeswettbewerb Philosophischer Essay (Herbst 2018)

Führt Wissen zu Macht?

 von Jonas Langen

Jonas Langen (EF)

„Das Gefühl, über Menschen und Vorgänge keine Macht zu haben, ist uns im Allgemeinen unerträglich – wenn wir hilflos sind, fühlen wir uns elend.“(Robert Greene, Die 48 Gesetze der Macht, 1998) Mit diesem Zitat beschreibt Robert Greene bereits ziemlich zutreffend die Einstellung vieler Menschen zur Macht. Jeder möchte an „die Macht“ kommen. Keiner möchte nur Befehle von anderen ausführen müssen. Jeder möchte wichtiger als der Rest dastehen und bewundert werden.

Genau deshalb, weil Macht als ein so wichtiger Bestandteil unser aller Leben existiert, versuchen Viele,  eine einfache, immer anwendbare Formel oder eine Methode zu finden, welche den Erfolg mit Leichtigkeit und ohne großen Aufwand garantiert. Doch bevor wir uns anschauen, ob Wissen als eine von jenen Methoden zu betrachten ist, welche uns mit Gewissheit an Macht gewinnen lässt, sollten wir erst einmal klären, was in dieser Frage genau Wissen und Macht bedeuten.

  Die Macht:

„Wer von Macht spricht, spricht von Gewalt.“ So schrieb der französische Philosoph Honorè de Balzac (1799 – 1850). Dies ist das Bild, das die Meisten von der Macht haben. Es wird angenommen, dass man Macht nur erhalten kann, wenn man als skrupelloser Bauer seinen König ermordet und sich seine Krone aufsetzt. Höchstwahrscheinlich war dies zu der Zeit von Honorè de Balzac auch tief in den Köpfen der Menschen verankert, aber ist es denn heute noch so?

In heutigen Zeiten sollte man die Macht eher als Spiel sehen. Ein Spiel, bei dem alle versuchen durch geschickte Spielzüge den Gegner, bevor dieser es merkt, schachmatt zu setzen, um an den gewollten Ertrag zu gelangen, der zum Beispiel sein Reichtum oder generelle Anerkennung bei den Untergestellten, wie dem Volk, sein kann. Außerdem ist es ein Spiel, bei dem sich alle an die Regeln der Gesellschaft und des gemeinsamen Zusammenlebens halten und um nicht sofort als machtgierig entlarvt zu werden, werden Masken aufgesetzt. Masken, die bei Bedarf gewechselt und erneuert werden können. Nicht ohne Grund sagte schon Abraham Lincoln „Willst du den Charakter eines Menschen kennenlernen, so gib ihm Macht“(Zitiert auf Seite 304, American Publishers Corporation 1880). Lincoln gehörte schon immer zu den Leuten die dieses Spiel mehr als nur verstanden hatten. In einer Rede, welche er während des Bürgerkriegs hielt, nannte er die Südstaatler „Mitmenschen, die sich bloß im Irrtum befinden“. Als er dafür kritisiert wurde, sie nicht seine Feinde genannt zu haben, gab er zurück „Vernichte ich meine Feinde nicht, indem ich sie zu meinen Freunden mache?“ (Zitiert in More New Testament Words 1958).

Somit ist es also durchaus möglich, in der heutigen Welt ganz ohne wildes Blutvergießen an Macht zu gelangen. Aber, und da kann man Honorè de Balzac wiederum sehr zustimmen, werden Leute, die schnell an die Spitze wollen, immer andere ausnutzen und überlisten müssen, wodurch auch eine Form von Gewalt benutzt werden muss.

Das Wissen:

„Nichtwissen ist eine Erkenntnis, die zum Lernen befähigt; falsches Wissen ist Arroganz, abgeleitet von Selbstüberschätzung.“ Von dieser These ausgehend, aufgestellt von Gerd Groß (geboren 1958), werden wir hier das Wissen in drei Teilbereiche unterteilen.

Zum einen ist da das Nichtwissen. Dieses kommt häufig bei Ungebildeten vor, liegt aber meistens nicht an Personen, sondern an speziellen Themen, mit denen sich der Nichtwissende einfach noch nicht auseinandergesetzt hat. Wie Gerd Groß schon sagte, ist das Nichtwissen, unter der Bedingung, dass eine gewisse Neugier vorherrscht, der größte Antrieb etwas Neues lernen zu wollen. Dem gegenüber steht der Wissende. Der Wissende hat sich so ausgiebig mit seinem Thema beschäftigt, dass er nahezu alle Fragen dazu richtig beantworten kann und in der Lage ist, neue Probleme zu erkennen und diese, aufgrund seines Wissens, auf seine Art zu interpretieren und zu lösen.

Als letztes gibt es noch den Falschwissenden. Dieser weiß genau soviel über ein Thema, dass er noch nicht weiß, dass er eigentlich viel zu wenig weiß. Man erkennt ihn daran, dass er wie ein Wissender jede Frage beantwortet, um zu zeigen wie viel er schon wisse, aber dann, durch sein falsches Wissen die Unwissenden, die unbedingt etwas erlernen wollen, verdirbt, bis sie schließlich ungewollt selbst zu Falschwissenden werden.

Dank dieser Definitionen können wir nun auf die Ausgangsfrage zurückkommen und uns anhand der folgenden zwei Beispiele beantworten, welcher unserer Wissenden durch seine Kenntnisse an viel und welcher nur an wenig Macht gelangen kann und wird. Damit keine Verwirrung entsteht, sollte ihnen bewusst sein, dass in den folgenden Geschichten zwischen Nicht- und Falschwissen nicht unterschieden wird, es also nur Wissende und Unwissende Protagonisten gibt.

Als erstes ist da  Joseph Duveen, ein Kunsthändler des 20. Jahrhunderts, welcher Andrew Mellon, einen Großindustriellen, zu seinem Kunden machen wollte. Das Problem war allerdings, dass Mellon schon früh klargemacht hatte, Duveen niemals kennenlernen zu wollen. Doch jener verfolgte ihn mehrere Jahre lang und sammelte über seine und dessen Angestellten alle Informationen, die er brauchte. Und so geschah es, dass die beiden sich zufälligerweise 1921 im selben Aufzug des selben Hotels auf dem Weg zur selben Kunstausstellung befanden und Duveen es dort, durch seine Recherche, schaffte, Mellon zu seiner exklusiven Galerie einzuladen, wo zufälligerweise fast alle Werke Mellons Geschmack entsprachen und diesen zum Kauf anregten. Für den Rest seines Lebens blieb er Duveens bester und großzügigster Kunde.

An diesem Beispiel erkennt man, dass es für Joseph Duveen durch seine Strategie und sein Vorwissen im Bezug auf die Macht ein Leichtes war, Andrew Mellon zu überlisten und dadurch an großen Reichtum zu gelangen. Wenn er nämlich ohne nachzudenken zu Mellon gegangen wäre, hätte dieser ihn natürlich sofort abgewiesen.

Als nächstes ist da Nicolas Fouquet, der als Finanzminister für Ludwig XIV. arbeitete. Es war bekannt, dass er sehr großzügig aber zugleich ziemlich klug war, denn er machte sich beim König so gut wie unentbehrlich. Doch als es Anzeichen dafür gab, dass dieses Verhältnis geschwächt sein könnte, musste er schnellstmöglich handeln. Aus diesem Grund veranstaltete er zu Ehren des Königs das spektakulärste Fest, das die Welt bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte und nahm als Anlass die Fertigstellung von  Fouquets Schloss Vaux-le-Vicomte.

Obwohl wir nicht großartig abschweifen wollen, kann man sagen, dass nicht nur sehr angesehene Gäste wie La Fontaine anwesend waren, sondern auch unter anderem ein sieben-gängiges Festmahl und ein Feuerwerk veranstaltet wurden, wodurch alle Beteiligten zu dem Schluss kamen, dass diese Feier grandios war. Doch am nächsten Morgen wurde Fouquet verhaftet und bis an sein Lebensende in Einzellhaft verbannt. Aber warum?

Das Problem, welches Fouquet nicht bedachte, war die Tatsache, dass Ludwig XIV. nicht damit leben konnte, einen Menschen in seinem Umfeld zu haben, der etwas besser konnte als er selbst. In diesem Fall war es für ihn unerträglich zu sehen wie sein Finanzminister von Allen mehr gelobt und gefeiert wurde, als er, der König. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass sich Ludwig XIV. als Nachfolger, nach der zwar ungerechten, aber für den König immer noch einfachen Verurteilung von Fouquet, Jean-Baptiste Colbert, den man landesweit für seine langweiligen Feste kannte, aussuchte und später, nur um Fouquet zu übertrumpfen ein noch größeres Schloss baute – das berühmte Versailles. Diese Anekdote zeigt, wie gefährlich es sein kann, als nicht-, bzw. Falschwissender beim Spiel um die Macht anzutreten.

Aufgrund dieser beiden Geschichten könnte man bereits versuchen, eine gewisse Regel aufzustellen. Zum Beispiel könnte man behaupten, jeder, der etwas über sie weiß, wird früher oder später an Macht gewinnen und alle anderen werden es zwar versuchen können, aber diese Versuche sind in allen Fällen zum Scheitern verurteilt. Doch wenn es so einfach wäre, könnten wir an dieser Stelle bereits zum Fazit kommen – tun wir aber nicht, da, wie wir alle wissen nur Ausnahmen die Regel bestätigen.

Deshalb folgen zwei weitere Geschichten, die als solche Ausnahmen gesehen werden.

259-210 v. Chr. war der zu der Zeit mächtigste Mann seiner Zeit Qin Shihuangdi . Er hatte es geschafft, alle seine Nachbarländer zu erobern und sie zu einem Land namens China zu vereinen. Als Schutz gegen seine Ermordung, mit der er mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit rechnete, leitete er Maßnahmen ein. Jeder, der ihn, ob extra oder aus Versehen, in seinem Palast erblickte oder mitbekam, in welchem seiner 270 Pavillons er dieser Nacht schlafen würde, wurde geköpft. Selbst wenn er seinen Palast verlassen musste, achtete er strengstens darauf, dass dies nicht publik wurde und reiste, verkleidet als normaler Bürger inkognito. Aber alle diese Vorkehrungen änderten nichts an der Tatsache, dass Qin Shihuangdi auf einer dieser Reisen plötzlich verstarb, ohne Fremdeinwirkung. Einfach so.

Von einen Tag auf den anderen hatte der Vorsichtigste von Allen seine gesamte Macht verloren. Aber viel schlimmer noch war die Tatsache, dass schon vorher, in der Zeit seiner Abschottung, die Politik Chinas einfach ohne ihn geführt wurde. Die Minister fragten nicht mehr nach seiner Meinung und vor allem nicht  nach seiner Erlaubnis. Somit verlor er seine Macht schon weit vor seinem Tod. Doch wahrscheinlich war seine Entscheidung im Endeffekt sowieso zum Scheitern verurteilt, obwohl dieser Rückzug ihn immerhin davor beschützt hatte, Opfer eines Anschlags zu werden. Denn ob eine berechtigte Annahme auf ein Attentat vorlag, oder ob diese Verschwörung auf den Kaiser erst durch dessen Zurückhaltung entstand, kann man bis heute nicht mehr herausfinden, aber vermuten.

An dieser Geschichte kann man sehen, dass man sich nie zu sehr isolieren sollte, da man dadurch nicht mehr mitbekommt, was um einen herum passiert, und somit die Kontrolle und letztendlich seine Macht verliert, andererseits zeigt sie auch, dass einem die Macht, egal wie viele Vorkehrungen man trifft, auch immer durch einen Schicksalsschlag genommen werden kann.

Als letztes fehlt also nur noch ein Beispiel, in welchem es der Protagonist schafft, ohne ausreichendes Fachwissen an die höchstmögliche Position zu gelangen.

Aber warum sollte ich ihnen irgendeine altmodische Geschichte heraussuchen, wenn man in einer Welt mit Menschen wie Donald Trump lebt, die ausdrucksstark beweisen, dass man nicht der Hellste sein und sich auch nicht sein gesamtes Leben darauf vorbereiten muss, wenn man an die Macht kommen möchte, sondern es vollkommen ausreicht, dass man sich durch Geld des Geschäftes seines Vaters Berater kauft, auf diese dann aus Protest nicht hört und seinen Anhängern auf Twitter Dinge verspricht, die man mit einer Gewissheit, die an Dreistigkeit grenzt, sowieso nicht einhalten kann und wird, nur um letztendlich zu sagen, alle anderen seien Schuld am eigenen Versagen und sich dann, nachdem man noch öffentlich und absichtlich falsche Tatsachen als wahr dargestellt hat, für diesen Prozess an Lügen und Korruption von seinem Volk feiern lässt.

Aufgrund der Tatsache, dass es so viele verschiedene unberechenbare Faktoren gibt, müsste man der Meinung sein, dass niemand eine Formel vorgeben kann, welche einen an die Macht bringt. Doch warum gibt es dann so viele Bücher und Videos, die einem genau das versprechen?

Es gibt zum Einen viele Leute, die durch die Veröffentlichungen solcher Werke eine Menge Geld machen können, ohne wirkliche Inhalte zu vermitteln. Zum Anderen gibt es aber noch die Leute, die sich nicht nur sehr gut mit dem Thema Macht auskennen und eine Menge Erfahrung besitzen, sondern auch bereit sind, große Teile ihres Wissens an Unwissende weiterzureichen. Und genau diese sind ihre Möglichkeit, an Macht zu gewinnen. Selbst wenn Sie sich denken, ich möchte sowieso nicht in die Politik gehen, und deshalb betrifft mich dieses Thema nicht, sollten Sie trotzdem einmal nachdenken, auf welche anderen Aspekte des Lebens sich nicht nur diese Geschichten, sondern auch alles andere, was in diesem Essey besprochen wurde, beziehen lassen.

Wenn Sie zum Beispiel in ihrem Beruf Probleme haben befördert zu werden, obwohl Sie sich immer hart anstrengen, könnten Sie darüber nachdenken, ob Sie sich wie Nicolas Fouquet vielleicht beim falschen Chef zu sehr eingeschleimt haben und dies bei jenem nur negative Auswirkungen bewirkt. Wenn Sie als Chef nicht mehr geachtet werden könnte das daran liegen, dass Sie sich wie Qin Shihuangdi vielleicht in letzter Zeit zu sehr zurückgezogen haben und in den Köpfen der Angestellten nicht mehr präsent sind. Oder wenn Sie jemandem etwas wertvolles ver- oder abkaufen wollen, können Sie sich wie Joseph Duveen erst einmal ein Bild darüber machen, welche Interessen der Käufer bzw. Verkäufer vertritt, um diese dann zu ihren Gunsten zu nutzen.

Wie Sie sehen, spielt Macht in fast allen Gebieten unseres Lebens eine wichtige Rolle und trotzdem ist sie in keinster Weise vorhersehbar oder berechenbar. Aber diese unberechenbaren Faktoren kann man mit genug Fachwissen bis auf das Minimale reduzieren.

Und somit kommen wir schlussendlich bei der Beantwortung der Frage, ob Wissen zu Macht führt auf ein klares Nein. Diese Antwort ist jedoch nur der Tatsache zu schulden, dass es nichts gibt, das uns den Erfolg garantiert.

Es gibt zwar viele Möglichkeiten sein Ziel mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zum Beispiel durch Geld, Glück oder Lügen zu erreichen, aber Wissen ist von denen nicht nur die Zugänglichste und Angesehenste, sondern auch die zuverlässigste. Denn auch wenn Qin Shihuangdi vielleicht gegen Ende seines Lebens einen Fehler machte, hatte er es vorher immerhin mit seinem Wissen geschafft, China zu gründen.