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Die bewegende Geschichte von Kinda Hazouri (Q1) aus Syrien

Kinda Hazouri aus der Qualifikationsphase Q1 stammt aus Syrien und hat trotz ihres jungen Alters bereits viel erlebt. In einem Interview im WDR und einem umfangreichen Bericht schildert sie ihre Erfahrungen.

 

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Auf der Suche nach Sicherheit und Frieden

Kinda Hazouri

Die Fluchtgeschichte meiner Familie und vieler anderer Flüchtlinge erzähle ich, um Bewusstsein und Erkenntnis bezüglich unseres schaudererregenden und gefährlichen Erlebnisses zu verbreiten. Mein Ziel ist es, das richtige Bild von uns, syrischen Flüchtlingen, zu vermitteln, da viele uns falsch beurteilen, weil ihnen die wahre Geschichte unbewusst ist. Wir haben eine harte Reise nicht für das Geld unternommen und unser Leben nicht für die wirtschaftlichen Vorteile geopfert sowie riskiert, wie sehr oft behauptet wird. Ganz im Gegenteil, wir lebten in Wohlstand, mehr als man sich vorstellen kann. Wir hatten unser eigenes Zuhause in einer der schönsten und elegantesten Gegenden Aleppos. Wir haben die fortgeschrittenste und luxuriöseste Schule besucht. Die Schulen und Unis in Syrien waren sehr hochentwickelt, was Bildungsniveau, Technologie, und verfügbare Aktivitäten angeht. Die wirtschaftliche Situation in Syrien vor dem Krieg war sehr stabil und die Mehrheit der Syrer war nicht nur zufrieden, sondern davon überzeugt, dass ihr Leben beinahe perfekt war. Was sollte man sich mehr als dies wünschen? Mein Vater hat als Professor an der medizinischen Universität im größten Krankenhaus Aleppos und in seiner eigenen Praxis gearbeitet. Das hat vollkommen ausgereicht, sodass meine Mutter sogar nicht arbeiten musste, sondern die Gelegenheit hatte, ihr Studium fortzusetzen. Zwar sind das sehr persönliche Erfahrungen, die ich erwähnt habe, aber ich tue dies nicht, um zu protzen, sondern um zu veranschaulichen, dass wir nicht habgierig sind. Das alles, was wir damals hatten und  besaßen, haben wir durch den Krieg verloren. Mir sind Fragen oft begegnet, ob wir auf der Straße lebten, im Zelt schliefen und überhaupt zur Schule gingen. Dieser Gedanke, dass wir nur gebettelt haben und darauf warteten, dass Deutschland seine Türen aufmacht, damit wir hierherkommen und Geld bekommen, hat mich geärgert. GELD ist das, was uns am wenigsten wichtig war. Unser einziger Gedanke war, wie wir wieder in Sicherheit leben werden. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass es solche Personen nicht gibt, aber das soll nicht heißen, wir sind alle so und überhaupt nicht gebildet. Ihr könnt meine Familie, mich und andere erfolgreiche Flüchtlinge als Beispiel nehmen. Wir kämpfen dafür, uns eine bessere und sichere Zukunft zu ermöglichen, und das Beste aus dieser Angelegenheit zu machen. Wir sind gierig nach mehr Erfolg und Fortschritten, nicht nach materiellen Dingen.

Außerdem möchte ich diese Angst vor der Kommunikation mit Flüchtlingen eliminieren. Es wird oft behauptet, dass wir uns aufgrund unserer Religion und unterschiedlichen Kultur, in Deutschland nicht integrieren bzw. einleben können. Leider, was oft im Fernsehen gezeigt wurde, vermittelte das falsche und nicht wahre Bild von Muslimen. Zwar existieren die schlechten und radikalen Muslime, das kann ich nicht ausschließen, aber es gibt auch die anderen, die tolerant, offen sowie liberal sind, und ihre Religion, genau wie ihr eure, wahrnehmen, weder extrem noch streng. Kirchen, Moscheen und Synagogen standen nebeneinander in Syrien und die Menschen haben sich ohne religiöse Vorurteile geachtet und wertgeschätzt. Historisch war Syrien ein Mosaik verschiedener Glaubensrichtungen und ethnischer Gruppen. Wir hatten sowohl christliche als auch jüdische Nachbarn und es war ganz normal. Vielfalt und Multikulturalität gehörten zum Alltag.

Ein Flüchtling ist ein Mensch, der genauso wie du, Träume und Ziele hat. Er musste um sein Leben fliehen, seine Heimat verlassen und einen grauenhaften gefährlichen Weg nehmen.  Jeden Tag wird er mit Erinnerungen konfrontiert, sehnt sich nach den vergangenen fröhlichen Tagen und seiner Familie. Er versucht die positive Seite zu sehen, optimistisch zu bleiben und  kämpft, trotz aller Hindernisse, um das Beste aus diesem Erlebnis rauszuholen, sich in die neue Gesellschaft zu integrieren, und dem Land, das ihn herzlich aufgenommen hat, zugute zu kommen.

Lasst euch nicht von dem Gerücht überzeugen, dass Flüchtlinge euch eine Gefahr bereiten. Redet mit ihnen und stellt eure Fragen, bevor ihr sie beurteilt. Es kann sehr verletzend und betrüblich sein. Die Welt ist viel besser, wenn wir zusammenhalten und uns gegenseitig, unabhängig von Nationalität, Sprache, Religion und Hautfarbe, respektieren.

Krieg, Tod, Zerstörung und Migration. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie entsetzlich und furchtbar diese Welt ist. Unser Leben war voller Freude, Liebe und Glück in Syrien, bis dieser blutige Krieg ausbrach und alles zerstört hatte. Und zerstört bedeutet nicht nur Gebäude, Straßen und Städte, sondern dieser zerstörte, und verletzte uns von Innen und zwar tief. Es ist herzzerbrechend und sehr quälend mitzuerleben, wie dein Heimatland vollständig ausgerottet wird, wie deine Nachbarn, deine Mitmenschen getötet werden, die die zu den bewaffneten Demonstrationen beigetragen haben und die, die einfach komplett unschuldig sind, während du nichts dagegen tun kannst. Die Situation wurde Tag für Tag schlimmer und gefährlicher, besonders in Aleppo, wo ich lebte und aufgewachsen bin. In die Schule konnten wir nicht mehr gehen, ausreichende Lebensmittel konnten wir uns nicht besorgen, mit sauberem Wasser und Elektrizität wurden wir nicht mehr versorgt und das Schlimmste, der Winter war noch nie so kalt wie dieser. Nachdem die Praxis meines Vaters in Schutt und Asche lag, unsere Schule keine Spuren von vorheriger Existenz aufwies und Aleppo zu einer Horror-Stadt geworden ist, haben wir beschlossen, unser Zuhause, unsere Familie und Freunde, all die Erinnerungen zu verlassen. Viele haben von der anstrengenden riskanten Flucht nach Europa berichtet und wie viele Menschen auf dem Weg starben, dennoch bestanden wir darauf, die Risiken einzugehen und nach Deutschland zu fliehen, denn das Leben in Syrien selbst war lebensbedrohlicher.

Schneller als gedacht fing das Abenteuer an und wir mussten in die Türkei. Nun? Was ist jetzt? Wir kontaktierten viele Schmuggler, die uns nach Griechenland über das Meer bringen könnten, aber umsonst. Lügner sind sie alle und wollen uns nur ausbeuten. Nach vielen vergeblichen Versuchen tauchte der richtige und passende Schmuggler auf. Wir besorgten uns Rettungswesten, die mich mit ihrer leuchtenden orangen Farbe verängstigten und beunruhigten und bereiteten uns auf die Fahrt vor. Nach Absprache sollten wir insgesamt 40 Personen sein, die im Boot sitzen. Gar keine Ahnung hatte ich, wie solch ein Boot aussehen könnte.

Es war Samstag Mitternacht, wir mussten uns im Hauptbahnhof versammeln, damit uns ein Bus zum Startpunkt bringt. Baby-Geschrei, unzählige leuchtende Rettungswesten und ängstliche Gesichter. Da bestätigte sich, dass ich nicht träume, sondern wacher als sonst war und das wirklich erlebte. Der Bus kam an, alle stiegen ein und wir fuhren mehrere Stunden in der Dunkelheit ohne Ahnung zu haben, wo unser Ziel liegen würde. Plötzlich hielt der Busfahrer mitten auf der Autobahn an und forderte uns auf auszusteigen, ohne weitere Hinweise zu geben. Ein kleinerer Bus hielt an und der Busfahrer winkt uns zu. Wir steigen aus und machen das, was die anderen auch machten, denn, was hätten wir sonst an einem verlassenen dunklen Ort tun können? Der Busfahrer sagte nichts anderes als ,,Macht eure Handys aus, damit uns keine Polizisten finden!”. Ja klar, das ist illegal, was da alles geschieht, deshalb sitzen mehr als 60 Personen eingezwängt im Bus für 40 Personen, wenn sogar nicht weniger.

Nach ein paar Stunden hielt dieser Bus auch an und ließ uns aussteigen, denn der durfte aus irgendwelchen Gründen nicht weiterfahren. ,,Hier geht es los!”, sagte der Busfahrer und fuhr weg. Wo? Wo geht es los? Es ist kein Meer zu sehen, kein Boot, nichts. Wir liefen einfach alle zusammen so lange, bis wir das Meer gesehen haben. Es war schon Sonnenaufgang und wir zitterten und froren von der Kälte. Zwei Männer standen neben einem kleinen schwarzen Schlauchboot. Vermutlich waren sie die Schmuggler, oder soll ich sie Mafia nennen? Sie waren alle bewaffnet und  hatten riesige schwarze Fahrzeuge. Sie haben uns empfangen und berichtet, dass unsere Gruppe in einer halben Stunde dran ist. Die Gruppe vor uns fuhr los und wir machen uns bereit. Wichtige Dokumente, ein paar Brötchen und Wasser verstecken wir in Plastiktüten und haben sie in die Rucksäcke getan und trugen die Rettungswesten. ,,Schnell, Schnell!”, rief der Mann und wollte sein Geld bekommen, 1000 US $ pro Kopf. Wie verzweifelt uns meine Mutter angeguckte, bevor sie sich in die Reihe stellte. Sie war stark genug, um zu vermitteln, dass sie ihre Entscheidung bereut und die ganze Verantwortung ohne meinen Vater nicht übernehmen konnte. Sie war kurz davor, den Mann zu fragen, ob eine Rückkehr möglich wäre. Ein fremder Mann, ein Vater,  hatte auch Angst um seine Kinder und schien es sich anders überlegt zu haben. Unmittelbar nach dem Wort ,,Rückkehr” schrie der bewaffnete Mann und sagte: ,,Entweder du fährst oder du stirbst!” Alle Gesichter waren frustriert und meine Mutter hielt sich zurück.

Jetzt kommt der Moment, jetzt ändert sich alles. Jetzt entkommen wir all diesem Chaos, Krieg und der Unsicherheit. Neue Türen werden sich öffnen und wir werden endlich wieder in Frieden leben. Ob ich glücklich oder eher traurig wirken soll, hat mich irritiert und verwirrt. Wir mussten das Wasser durchqueren, um zum Schlauchboot zu gelangen. Die bewaffneten Männer nahmen uns hoch und warfen uns auf den Grund des Bootes wie Tiere! 66 Personen waren wir! Obwohl nur 40 vor dem Treffen versprochen wurden. Wir saßen aufeinander und ich konnte meine Beine nicht mehr spüren, meine Geschwister waren kaum mehr zu sehen und meine Mutter hat nichts Anderes getan, als zu weinen und beten, während ich irgendwo in Erinnerungen stecken geblieben war. Gott sei Dank gab es einen Mann in unserer Gruppe, der erfahren war und ein Boot fahren konnte, da das ansonsten irgendwer machen musste. Bevor wir losfuhren, berichtete der bewaffnete Mann, dass das Schlauchboot, welches vor kurzem gefahren war, gekentert und die Menschen ertrunken seien. Uns war bewusst, wir werden ebenso frieren und ertrinken. Dennoch bestand eine winzige Hoffnung, dass wir es schaffen und überleben können. Wir fuhren eine Stunde und dann merkten wir, wie die Wellen immer höher wurden, als wir uns den Hoheitsgewässern näherten. Mitten im Meer stoppte der Motor. Noch ein Versuch, noch einer und er sprang immer noch nicht an. Ich fing an zu beten, die kleinen Kinder, meine Geschwister, und die Leute anzugucken und zu denken, wie böse das Leben sein kann und wer sich vor 10 Jahren hätte vorstellen könnte, dass wir in einen solchen Moment geraten werden.

Meine Mutter sendete eine SMS-Nachricht jeweils an meinen Vater und ihren Eltern, die direkt in erschüttert und sprachlos waren. Nach einem erneuten Versuch lief der Motor auf wundersamer Weise wieder an. Nach zwei unendlich langen Stunden haben wir ein Insel gesehen. Die Wellen stiegen weiter und wir sind gegen die Meeresfelsen geprallt. Wir mussten ins Wasser springen und zum Strand schwimmen. Wir zögerten am Anfang, aber ansonsten wären wird ertrunken, wenn wir nicht gesprungen wären. Zu unserer Überraschung war dies eine militärische Insel, sprich: hier gab es keine Hilfsorganisationen, die uns empfangen und helfen konnten. Steine und Leere überall. Aber wir waren wieder auf festem Untergrund, wir hatten es geschafft. Wir lebten! Dankbar und fröhlich kniete ich auf dem Boden und dankte Gott, uns ein neues Leben ermöglicht zu haben. Nachdem wir unsere nassen Klamotten gewechselt hatten, sind wir einen Hügel hinaufgegangen, um die Hilfe der Soldaten zu erbitten. Die Soldaten waren sehr nett zu uns und sagten uns, dass ein Dampfer auf dem Weg sei und uns auf eine bewohnte Insel namens „Kos“ bringen wird. 5 Stunden warteten wir darauf, und endlich wurden wir abgeholt. In Kos wurden wir von dem roten Kreuz aufgenommen, das uns sofort was zu Essen und Trinken gegeben hat. Wir und hundert andere Menschen stellten uns in die lange Schlange, um uns registrieren zu lassen und unsere Dokumente zu zeigen, damit wir eine Bescheinigung bekommen, die unsere Einreise in Griechenland beweist. Währenddessen stritten sich viele Leute, wer sich zuerst hinstellte und wer zuerst drankomme. Wie lächerlich einfach! Und dann fragt man sich, wieso wir uns nicht vereinen können und den Krieg beenden. Schließlich waren wir endlich dran. Wir wollten die Fahrkarten kaufen und direkt mit der Fähre nach Athen fahren. Aber uns wurde erklärt, dass wir noch nicht fahren könnten, solange wir diese Bescheinigung noch nicht bestätigt zurückbekommen. Also mussten wir paar Tage in Kos verbringen. Es war schon spät in der Nacht und wir haben daran gedacht, wie wir uns jetzt ausruhen werden und im bequemen warmen Bett liegen werden. Zu unrealistisch war das, denn jeder hatte jeweils ein Kissen und eine Schlafdecke bekommen, und wir alle mussten in einem riesigen Zelt schlafen, das nur aus vier Holzsäulen bestand und keinen Boden hatte. Also legten wir uns auf den Felsen und die Tränen begannen zu fließen. Der Geruch war eklig, die ganze Umgebung stank und roch nach schmutzigen Toiletten. Die Nacht dauerte ewig und verging gefühlt sehr langsam. Der Tag war ein Traum, von dem ich aufwachen werde! Daran dachte ich die ganze Zeit, aber ich wachte nicht auf, das war kein Traum, wir sind jetzt diejenigen, die ich im Internet, im Fernsehen und in den Nachrichten immer gesehen habe. Drei Tage später erhielten wir die Bescheinigung und wir durften nach Athen. Pech, ja Pech hatten wir. Die Fähre und die restlichen Schiffe streikten und fuhren nicht mehr.

Also blieben wir drei weitere Tage auf Kos, bis der Streik endete. Unmittelbar nach der Ankunft in Athen fuhren wir mit dem Bus an die Grenze Mazedoniens. Als wir ankamen, waren wir von der Anzahl der Busse schockiert. Etwa 70 Busse standen da und jeder Bus brauchte Stunden zum Einfahren, aufgrund der großen Anzahl der Menschen und der akribischen Kontrollen. Mit viel Geduld verbrachten wir einen ganzen Tag im Bus. Nach der Einreise in Mazedonien, wurden wir angewiesen, bis zu einer Zugstation zu laufen. Es war bitterkalt und wir haben unsere Decken den frierenden, kleinen Babys und Kindern gegeben. Die Station war voller Polizisten, jedoch konnten sie die Massen an Menschen nicht zurückhalten.

Der Zug war sehr alt und die Leute haben sich überall im Zug aufeinandergesetzt und -gelegt. Sie stiegen durch das Fenster ein und wir hatten keine Chance, einen Platz zu finden, der Flur war voll und wir weigerten uns, einzusteigen. Die Polizisten haben uns aber reingeschubst und die Türen zugemacht. Wir mussten uns neben den stinkenden Toiletten hinsetzen und die Nacht so verbringen. Wir haben trotz dieser Umstände und des zerbrochenen Fensters geschlafen. Nach etwa 6 Stunden erreichten wir die serbische Grenze. Dort folgten wir den Schildern bis wir die Anmeldestelle erreichten. Wir mussten uns, wie in Griechenland, persönlich vorstellen, um eine Bescheinigung zu bekommen, sodass wir noch einen anderen Beweis haben, der unsere Reise nachweist. Wie erwartet, die Schlange war so lang, dass Leute ihre Zelte aufgebaut haben und einfach schliefen. Manche haben uns erzählt, dass diese Bescheinigung nicht so wichtig sei, wie die vorherige. Und, dass wir mit Privatautos an die Grenze Kroatiens fahren können. Natürlich mussten wir dafür bezahlen, aber besser als auf der Straße in der Kälte zu schlafen. Wir fuhren mit einer anderen Familie los und waren nervös. Irgendwas stimmte nicht. Der Fahrer hörte nicht auf, sich ständig umzudrehen, uns anzustarren und am Handy in seiner Sprache zu sprechen. Wenige Minuten später wechselte der Fahrer den Weg und fing an, einen Hügel hinaufzufahren. Wir waren verwirrt und konnten ihn nicht verstehen. Wir haben laut geschrien und geweint, aber er beschleunigte immer weiter. Plötzlich öffnete meine Mutter die hintere Tür und der Mann hielt an. Da war ein alter Man mit einem Traktor auf dem Hügel, und wir versuchten mit ihm durch Körpersprache zu kommunizieren und zu fragen, ob das der richtige Weg sei. Er sagte nichts, sondern deutete mit seiner Hand ein ,,Nein“-Zeichen an. Der sah komisch aus. Das war eine Warnung. Wir müssen zurück! Der Fahrer hat den alten Mann angeschrien und geschimpft, sodass dieser schnell fortging. Da wurde uns klar, dass die Sache größer als wir ist. Wir haben ihm versprochen das Doppelte zu zahlen, wenn er uns zurückbringt. Das Geld schien ihm wichtiger zu sein, also hat er uns wieder zum Ort gebracht, wo wir hergekommen waren. Wir stellten uns in die Reihe und haben ein Schild gelesen, auf dem eine Warnung vor privaten Fahrzeugen stand, da sie eine Gruppe der Mafia sind.

Ich hatte Gänsehaut, aber war erleichtert zugleich. Nach vielen Stunden erhielten wir die Bescheinigung und fuhren nach Kroatien. Von dort aus würden wir weder mit dem Bus noch mit dem Zug nach Slowenien fahren, sondern zu Fuß gehen müssen. Das war eine Strecke von mehr als 15km. Wir machten eine kleine Pause, entleerten unsere Rucksäcke, und fingen an zu laufen, bis wir die slowenische Grenze erreichten. Eine Bescheinigung wurde hier nicht ausgehändigt und dementsprechend gab es keine Reihe, in die wir uns stellen sollten. Mehrere Busse standen bereits an der Grenze und wir waren überglücklich, endlich in einem großen warmen Bus  schlafen zu können.

Die Busse fuhren nach Österreich. Eine halbe Nacht haben wir im Bus geschlafen, und ich fühlte, dass ich seit Jahren nicht so sorglos und erleichtert schlief. Wir sind bald da! Wir sind sehr nah dran! Das ist kein Traum! In Österreich wurden wir Willkommen geheißen. Wir bekamen richtiges Essen, oh war das eine lange Zeit, seitdem wir das letzte sättigendes Mal aßen. Nun mussten wir wieder im Zelt schlafen, aber diesmal eines mit Boden und stabilen Wänden. Wir erhielten einen kleinen Zettel, auf dem eine Nummer stand. Diese bestimmte, wann wir die Grenze Deutschlands überqueren durften. In dieser Nacht spürten wir die Müdigkeit, all die Schmerzen und die Prellungen, die durch diese Reise verursacht wurden.

Der Tag kam endlich, der Tag, auf den wir gewartet hatten. Der Tag, an dem sich unser Leben verändern wird. Wir wurden aufgerufen, und liefen bis zur deutschen Grenze. Die Polizisten haben uns in mehrere kleine Gruppen geteilt, und zu verschiedenen Bussen  geführt. Jeder dieser Busse sollte in eine andere Richtung fahren und die Flüchtlinge in die entsprechenden Flüchtlingsheime bringen. Unser Bus fuhr zu einem kleinen Dorf, namens Meißen, neben der bekannten Stadt Dresden, in dem Bundesland Sachsen. Von hier aus begann das Asylverfahren. Dieser läuft wie folgt ab: zuerst werden wir als Asylbewerber registriert und in die zuständige Aufnahmeeinrichtung aufgenommen. Wir bekamen dann einen Termin für eine medizinische Untersuchung und mussten auf einen weiteren Termin für die persönliche Anhörung im Gericht warten, wo entschieden wird, ob wir in Deutschland Asyl beantragen dürfen oder eben nicht. Dort wird auch das Dublin-Verfahren durchgeführt, um festzustellen, ob wir in einem anderen Land der EU bereits Asyl beantragt haben, sodass wir dann zurück zu dem Land geschickt werden. Das war nicht der Fall bei uns. Anschließend wurde auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gewartet. Man erhält einen gelben Brief, worin entweder eine Bestätigung oder Ablehnung steht.

Bei jedem Flüchtling ist der Ausgang anders. Manche bekommen einen 3-jährigen Aufenthaltstitel, andere nur 1 oder 2 Jahre. Das hängt immer von dem ab, was in der Anhörung erzählt wurde. 7 Monate dauerte es, bis wir die Bestätigung und die Ausweise bekommen haben. In der Zeit hatten wir nichts zu tun. Wir durften nicht in die Schule, da wir noch keinen klaren Status hatten. Aber das hat nicht verhindert, Deutsch durch Kommunikation und Kontakt mit den Helfern vom Roten-Kreuz, die dafür gesorgt haben, dass uns gut geht, zu lernen. Die anfängliche Zeit war unerträglich, wir waren einsam, fremd und isoliert.

Aber zugleich sehr entzückt und neugierig, wie das Leben außerhalb dieses Dorfes aussehen möge, wovon ich nun viel erfahre.